Maria Rauschenberger – Forschungen zur Früherkennung einer LRS

Interview mit Maria Rauschenberger

Name: Maria Rauschenberger
Herkunft: Deutschland
Alter: 31
Beruf: Projektleiterin/ Promovierende
Website: www.mariarauschenberger.net

Wann und wie wurde deine Legasthenie erkannt?

In der zweiten Klasse, weil meine Mutter hartnäckig war. Sie konnte nicht verstehen, wie ich alles Mögliche lernen und machen konnte, aber nicht das Lesen und Schreiben. Dank ihrer frühen Unterstützung kann ich heute sehr  gut und schnell lesen sowie passabel schreiben.

Hatte die Legasthenie Einfluss bei deiner Berufswahl? Wenn ja, inwiefern?

Nein, eigentlich nicht. Ich hatte schon immer viele Ideen und konnte mir viel vorstellen. Allerdings hatte ich Schwierigkeiten, durch meine schlechte Englisch-Note einen dualen Studienplatz zu bekommen, für den ich mich damals interessierte. Dank einer begründeten Absage (Sie sollten Ihr Englisch verbessern und sich dann erneut bewerben), habe ich mir privat ein Auslandsjahr als Aupair in London organisiert und mein Kindergeld für die Sprachschule ausgegeben. Dieses Jahr habe ich gut genutzt: mein Englisch-Niveau auf fast Native Speaker gehoben und mir überlegt, was ich wirklich machen möchte. So fing ich an zu lernen und irgendwie tue ich das heute noch als Promovierende.

Hast du in der Bewerbungsphase preisgegeben, dass du Legasthenie hast?

Nein. Es spielte für mich damals einfach keine große Rolle. Weder in meinem privaten noch im beruflichen Bereich.

Wie hast du die Legasthenie erwähnt und wie sah die Reaktion aus?

Natürlich habe ich weiterhin Rechtschreibfehler gemacht — aber die Leute haben es als Flüchtigkeitsfehler abgetan und ich habe sie meist nicht aufgeklärt, dass ich den Text mehrfach gelesen oder auch durch verschiedene Rechtschreibprogramme habe laufen lassen, weil ich Legasthenikerin bin.

Wie macht sich die Legasthenie im jetzigen Beruf bemerkbar?

Dadurch, dass ich gerne und viel gelesen habe und darin geübt bin — ist Forscherin manchmal zwar anstrengend, weil es viel zu lesen gibt. Dennoch habe ich mir ein Forschungsthema gesucht, für das ich absolut brenne (Die spielerische und frühzeitige Erkennung der Lese-/Rechtschreibstörung mit neuen Technologien). Die meisten Ausarbeitungen und wissenschaftlichen Publikationen werden sowieso mehrfach gelesen und entstehen über einen längeren Zeitraum. Damit finde ich schon viele Rechtschreibfehler selbstständig. Ansonsten suche ich mir jeweils Korrekturleser — das müssen andere Forscher ohne eine Lese-/Rechtschreibstörung aber auch.

Wie wirkt sich die Legasthenie im sonstigen Alltag aus?

Außer als Forscherin kaum noch.

Welche Eigenschaft besitzt du, die aufgrund der Legasthenie besonders ausgeprägt ist?

Frustrationsresistenz und nehme viel mit Humor.
– Ich gebe nicht auf; untersuche sowie bewerte Lösungen und bin kommunikativ.
– Ich übernehme Verantwortung und suche nach Herausforderungen.

Welche Tipps würdest du anderen Legasthenikern auf den Weg geben?

Es ist nicht nötig sich alleine über seine Legasthenie zu definieren. Lesen und Schreiben sind wichtige Werkzeuge die wir in unserer Gesellschaft unter anderem zur Kommunikation oder zum Lernen benötigen. Es sind aber nicht die einzigen. Außerdem hat jeder auch Stärken und die gilt es zu finden, zu fördern und seine eigenen Lösungen für den Alltag erfolgreich einzusetzen.

Du forscht zum Thema Erkennung der LRS mit neuen Technologien — Worum geht es genau?

Die Lese-/Rechtschreibstörung (LRS) führt zu Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben (Offizielle Definition ICD-10 oder DSM5). Dabei liegt jedoch keine verminderte Intelligenz vor. Oft werden Kinder erst aufgrund ihrer sehr schlechten schulischen Leistungen in der vierten Klasse oder später entdeckt. Bis dahin sind der Leidensdruck und die Frustration bei Kindern und Eltern bereits sehr hoch. Da das Kind beschuldigt wird, nicht genug zu lernen und die Eltern beschuldigt werden, nicht genug zu helfen.

In Deutschland sind 5 bis 12 % von der LRS betroffen. Selbst bei ähnlichen sozialen Strukturen, Intelligenzgrad und Trainingsaufwand haben Vergleichsstudien gezeigt, dass Kinder mit einer LRS sehr viel länger für gute Schulleistungen benötigen und später eine höhere Rate der Arbeitslosigkeit aufweisen als die Kontrollgruppe ohne LRS.

Deshalb ist es wichtig, Kinder mit einer LRS frühzeitig zu erkennen, um ihnen somit mehr Zeit zum Lernen zu ermöglichen, Frustration beim Lernen zu verhindern und das Selbstbewusstsein zu stärken. Mit einem guten Selbstbewusstsein können sich außerdem die Stärken des Kindes besser entwickeln, so dass ein Ausgleich zum mühsamen Erlernen der Schriftsprache gebildet und Berufschancen entstehen können. Da Kinder im jungen Alter (vor der Schule) meist noch keine Buchstaben oder Wörter gelernt haben, sind die herkömmlichen Rechtschreibtests keine Option.

Das Spiel „MusVis“ enthält musikalische und visuelle Elemente anhand deren durch den Vergleich von zwei Gruppen ein Unterschied in der Spielweise zwischen Kindern mit und ohne eine LRS festgestellt wird. Die Vorstudie wurde bereits durchgeführt und wird gerade analysiert.

Wir suchen gerade noch Teilnehmer mit einer festgestellten Lese-/Rechtschreibstörung im Alter von 7 bis 12 Jahren. Teilnehmer können sich über unsere Webseite direkt anmelden und können dann bequem von zu Hause mitmachen.
https://mariarauschenberger.net/2017/02/16/2017_teilnehmer/

04.Oktober 2017

Verhältnis Arbeitgeber und Legastheniker

Arbeitgeber: Würden Sie jemanden einstellen, von dem Sie wissen, dass er oder sie Legasthenie hat?

Verhältnis Arbeitgeber und Legastheniker - LegasthenieQuelle: Maturaarbeit „Legasthenie in der Berufswelt“ (2015)

In der Maturaarbeit „Legasthenie in der Berufswelt“ hat die Hälfte der Befragten die Legasthenie bei der Bewerbung nicht erwähnt, weil sie die für die Berufswahl als irrelevant betrachtet haben. Bei den anderen Personen, welche die Legasthenie nicht erwähnt haben, waren die Gründe, dass es ihnen peinlich war (13%) und dass sie sonst wahrscheinlich die Stelle nicht bekommen hätten (25%). 

Um herauszufinden, ob es notwendig ist, die Legasthenie zu verschweigen, wurden die Arbeitgeber gefragt, ob sie einen Legastheniker einstellen würden. Das Resultat ist in der Abbildung ersichtlich.

Knapp die Hälfte der Arbeitgeber (49%) würde einen Legastheniker einstellen, sofern das Skill-Set stimmt und die Legasthenie mehr oder weniger kompensiert werden kann.
Ein Drittel sieht es in Abhängigkeit vom konkreten Tätigkeitsbereich.

In der Medien-, Marketing- und Kommunikationsbranche wäre es für die Grafiker und Programmierer kein Problem einen Legastheniker einzustellen. Hingegen wäre es ein Problem in Bereichen, wo viele Texte formuliert werden oder direkter Kundenkontakt besteht. Im Gesundheitswesen wird von den Arbeitgebern oft erwähnt, dass es auf das Ausmass ankommt. Sie würden auch jemanden einstellen, wenn diese Person hauptsächlich in der Telefonberatung tätig wäre und weniger Berichte schreiben würde. Im Bereich Maschinenbau und Ingenieurwesen kommt es für ein Drittel auf die Stelle an. Bei den Stellen Bau/Ausführung und Design wäre auch ein Legastheniker geeignet, problematisch wird es, wenn direkter Kundenkontakt besteht.

Aufgrund der Legasthenie würden insgesamt 19% der befragten Arbeitgeber die betroffene Person nicht einstellen.

Im Medien-, Marketing- und Kommunikationsbereich ist die Begründung, dass sie sich keine Rechtschreibefehler leisten können und der Kontroll- und Korrekturaufwand zu hoch ist. Im Gesundheitswesen würden sie Legastheniker nicht einstellen, weil das schnelle und korrekte Übersetzen fachlich und zeitlich essentiell ist oder lieber 
alternative Bewerber gewählt werden. Im Bereich Maschinenbau und Ingenieurwesen würde keiner von den Arbeitgebern einen Arbeitnehmer aufgrund der Legasthenie nicht einstellen.

Als Fazit kann gesagt werden: Arbeitgeber sind nicht von Grund auf kritisch bis ablehnend eingestellt. Legastheniker haben gute Chancen, eine Stelle zu bekommen, solange die Legasthenie nicht zu einschränkend ist und die anderen Fähigkeiten den Anforderungen entsprechen. Wie gut die Jobchancen für Legastheniker sind, variiert allerdings von Branche zu Branche.

 

Deine Meinung:


*Brockes, Sabrina (2015): Legasthenie in der Berufswelt, Wil: Kantonsschule Wil. 

Unentdeckte Legasthenie

Gründe warum viele Menschen gar nicht wissen, dass sie betroffen sind:

  • Früher wurde die Legasthenie nicht in der Schule abgeklärt
  • Legastheniker haben sich gute Kompensationsmechanismen angeeignet
  • Legastheniker haben frühestmöglich die Schule verlassen

Früher war die Legasthenie oft kein Thema in der Schule und es wurde selten auf Schüler Rücksicht genommen, die schlecht Lesen oder Schreiben konnten. Ausserdem ist/war die Entdeckung und Frühbehandlung von legasthenen Schülern Glücksache und hängt vom Engagement und Ausbildungszustand einzelner Personen ab, wie von den Lehrern, Eltern oder Schulpsychologen.1 

Deshalb gibt es jetzt noch viele Legastheniker, die gar nicht wissen, dass sie Betroffen sind. Sie fühlen sich oft dumm und leiden darunter. Die Anzahl Legastheniker ist aufgrund der Dunkelziffer schwierig einzuschätzen. Im deutschsprachigen Raum geht man davon aus, dass ca. 5% der Bevölkerung von einer Legasthenie betroffen sind. 2 

unentdeckte Legasthenie Bild

Deine Meinung:


  1. Breuninger, Betz (1998): Teufelskreis Lernstörungen: Theoretische Grundlegung und Standardprogramm, 5 Aufl., Weinheim: Beltz
  2. Lichtsteiler Müller, Monika (2013): Dyslexie, Dyskalkulie. Chancengleichheit in Berufsbildung, Mittelschule und Hochschule, 2. Aufl., Bern: hep Verlag.

Legasthenie im Berufsleben

Ein Gastbeitrag von Lars Michael Lehmann, Legasthenie-Experte und Fachjournalist

Ob Legastheniker im Berufsleben Erfolg haben, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Legastheniker haben unterschiedliche soziale Hintergründe, besuchen verschiedene Schularten und es ist entscheidend, ob die Betroffenen zusätzliche psychosoziale Probleme entwickelt haben. Es hängt von der Stärke der Schwäche und der frühen Förderung ab, wie sich die Betroffenen bis in das Erwachsenenalter hinein entwickeln werden.

Nicht wenige Legastheniker hatten in der Grundschulzeit schlechte Erfahrungen mit der Schule gesammelt. Daraus resultieren meiner Kenntnis nach die möglichen seelischen Erkrankungen, die sich dann bei Erwachsenen zusätzlich entwickeln können – aber es gibt auch Betroffene, die ihre Schulzeit seelisch unbeschadet überstanden haben. Darum ist die Grundannahme, dass eine Legasthenie automatisch eine Lese-Rechtschreib-Störung ist (wie es die WHO definiert), ungenau. Man kann bezweifeln, dass Betroffene automatisch mit einer seelischen Behinderung oder Krankheit auf die Welt kommen. Diese Annahme hindert Betroffene an einer gesunden und normalen Entwicklung.

In der praktischen Arbeit sind mir nicht selten Legastheniker begegnet, die keine seelischen Erkrankungen davongetragen haben. Andererseits gibt es auch einige Betroffene, die ihre Probleme in der Grundschulzeit nicht bewältigen konnten und später dann verschiedene seelische Probleme entwickelt haben. Diese stammen zumeist aus ihrer Umwelt und haben nicht direkt mit der Legsthenie zu tun. Mögliche Faktoren für den Erwerb dieser psychosomatischen Probleme sind zum Beispiel ein sozial schwaches Elternhaus und eine unzureichende schulische Förderung.

Deshalb ist es strittig, die Legasthenie als Behinderung zu bezeichnen. Eine Legasthenie ist lediglich eine Veranlagung für Lese-Rechtschreib-Probleme, die mit guten Umweltbedingungen gut kompensiert werden kann.  Eine frühe und adäquate Förderung ist die beste Prävention in der Kindheit. Dann müssen Betroffene gar keine seelischen Erkrankungen entwickeln.

Da sich die Lebensbedingungen der Betroffenen unterscheiden, sind auch die Verläufe bei Legasthenikern im Berufsleben verschieden. Wahrscheinlich sind diese Bedingungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ziemlich ähnlich. 

Bei Legasthenikern findet man vom Hauptschüler bis zum Akademiker alle beruflichen Sparten. Man wird sie nicht in Berufen finden, wo starke schriftsprachliche Fähigkeiten abverlangt werden. Was nicht heißt, dass man unter den Betroffenen keine Autoren oder Journalisten antrifft. Aber sie werden selten Dolmetscher oder Sprachwissenschaftler sein. Alle anderen Berufe sind für die Betroffenen denkbar. 

Bei unserer praktischen Arbeit begegneten uns häufig Betroffene aus sozialen, technischen und kreativen Berufen. Darunter waren auch Professoren oder andere Akademiker. Die beruflichen Möglichkeiten von Betroffenen sind vielfältig. In der heutigen technisierten Welt gibt es gute Hilfsmittel, die bei der Kompensation der Probleme hilfreich sein können. Daher bestehen heute viel mehr Chancen für Legastheniker als vor rund 20 Jahren.

Ein mögliches Hindernis kann sein, dass Betroffene seelische Probleme sekundär zur Legasthenie entwickelt haben, die zu Problemen in der beruflichen Integration führen können. Diese Schwierigkeiten resultieren häufig aus seelischen Verletzungen, die aufgrund von Unverständnis im Schulwesen oder in den Familien erworben wurden. Manche haben leichte depressive Verstimmungen bis hin zu schwereren traumatischen Erfahrungen erlebt. Diese sekundären psychischen Störungen können bei Legasthenikern auch noch im Erwachsenenalter auftreten, andere Betroffene haben dagegen eine starke psychische Stabilität entwickelt. Dies macht deutlich, dass eine Legasthenie keine automatische psychische Störung bedeutet, wie es einige medizinisch orientierte Forscher meinen. Viele Zusammenhänge sind bis heute noch wenig erforscht. Darum ist ein medizinisches Störbild für die Betroffenen nicht hilfreich. Ein liberalerer und pragmatischer Umgang ist für die Betroffenen hilfreicher. Es ist besser, die Schwäche durch pädagogische Förderung und Training zu kompensieren, statt eine Störung zu therapieren, die in der realen Lebenswelt so nicht existiert.

Gelingt es Legasthenikern ihre Biografie zu bewältigen, besteht die Chance, je nach Schwere der Lese-Rechtschreib-Schwäche einen passenden Beruf zu erlernen.

Auch im Erwachsenenalter lohnt es sich, Hilfe bei einem Profi zu suchen, der möglichst die Perspektive der Betroffenen aus eigener Erfahrung kennt. Es braucht für die Bewältigung der Legasthenie viel Knowhow und Einfühlungsvermögen. 

So besteht die Möglichkeit, auch als Erwachsener die Legasthenie gut zu bewältigen. Sicherlich ist der Weg nicht bequem – er erfordert viel Selbstdisziplin und psychische Stabilität. Familiärer Rückhalt ist dabei eine wichtige Stütze. Wenn diese Faktoren vorhanden sind, dann bestehen gute Chancen, mit einer Legasthenie einen passenden Beruf zu finden.

Nicht wenige Legastheniker haben durchaus Erfolg im Berufsleben, sie geben es nur nicht preis, dass sie Legastheniker sind. Denn es bedeutet für viele ein Stigma sich zu outen – wer will schon zu einer Behinderung oder psychischen Krankheit stehen, die in der Realität gar nicht so existiert bzw. nicht richtig erforscht ist.

Besser wäre es für die Betroffenen, zu ihrer Legasthenie zu stehen. Ihr Lebensmotto könnte heißen: Ich bin Legastheniker und das ist auch gut so. Und die Wirtschaft sollte sich besser über die möglichen Vorzüge legasthener Menschen informieren, denn nicht wenige sind gute Teamplayer oder auf speziellen Gebieten begabt.

Website: www.legasthenie-coaching.de

Über Schule, Schauspieler und Ikea-Betten! 

Artikel von Iris Trimboli 

Frage: Was haben Keira Knightley, Orlando Bloom, Tom Cruise, Anthony Hopkins, Patrick Dempsey oder Whoopi Goldberg gemeinsam? 

Ja, genau, sie allesamt sind bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler. 

Was haben diese begabten und berühmten Personen jedoch mit Michael Jackson, König Carl Gustaf oder seine Tochter, der Kronprinzessin Viktoria von Schweden, mit Noel Gallagher oder Charles Darwin gemeinsam? 

Abgesehen davon, dass sie ausnahmslos sehr bekannte Persönlichkeiten waren oder sind, findet man kaum einen gemeinsamen Nenner. Und dennoch gibt es ihn: Sie alle waren oder sind Legastheniker. 

„Legastheniker? Legasthenie? Davon habe ich auch schon gehört! Das ist doch, wenn man nicht gut liest oder schreibt und die Buchstaben verdreht?!“. So oder so ähnlich lauten die Reaktionen ganz oft, wenn Menschen über Legasthenie sprechen. 

Was genau ist also Legasthenie? 

Mit absoluter Sicherheit kann man sagen, was sie nicht ist. Legasthenie ist keine Krankheit, keine Behinderung, keine Störung oder gar ein Mangel an Intelligenz. Die meisten Legastheniker haben eine gute bis überdurchschnittliche Intelligenz. Viel mehr weiss man heute, dass die Legasthenie genbedingt ist und oft vererbt wird, denn 50-60% der Legastheniker haben einen legasthenen Elternteil und in den Chromosomen 6 und 15 lässt sich die Anlage zur Legasthenie feststellen. 

Das Wort Legasthenie setzt sich zusammen aus: „legere“ (lateinisch) also „lesen“ und „asthéneia“ (altgriechisch), was so viel wie „Schwäche“ heisst. Also „Leseschwäche“. 

Es ist tatsächlich so, dass die meisten Kinder mit einer Legasthenie auffallen, weil sie „schwach im Lesen“ sind. Sie haben Schwierigkeit beim Verbinden der einzelnen Laute. Ihr Lesetempo ist sehr langsam und stockend. Oft werden keine Satzzeichen und Punkte gelesen. Die Stimme wird nicht gesenkt beim Satzende, oder es liegen allgemein ganz wenig „Emotionen“ in ihr. 

Worte werden abgehackt und nicht zu Ende gelesen, nicht genau gelesen oder einfach erraten. Wörter werden mit grosser Mühe nacheinander gelesen und der Sinn und Textinhalt häufig gar nicht verstanden. Auch Kinder, die bereits in der 5. oder 6. Klasse sitzen, fallen auf, weil sie noch Schwierigkeiten mit dem Lesen haben. 

Aber leider ist es nicht nur das Lesen, sondern in den allermeisten Fällen auch das Schreiben, was den legasthenen Kindern Schwierigkeiten bereitet. Ein Diktat oder ein Aufsatz, oder etwas, das von der Tafel oder von einem Buch abgeschrieben wurde, strotzt oft vor Fehlern. Sie verwechseln Buchstaben, die ähnlich aussehen (z.B. p q g d b ei ie M W usw.) oder ähnlich klingen (q k /t d /f v /k g usw.). 

Buchstaben, Wortteile und ganze Wörter werden vertauscht oder gar weggelassen. Doppelungen und Dehnungen werden nicht gehört und kaum berücksichtigt. Die Gross- und Kleinschreibung wird anscheinend konsequent „ignoriert“. Legastheniker haben nicht selten mit den vermeintlich leichten Worten mehr Schwierigkeiten, während schwierige Wörter nahezu mühelos geschrieben werden. 

  • Innerhalb eines Textes treten unterschiedliche Schreibweisen eines Wortes auf, da eine Abspeicherung des Wortbildes nur sehr schwer stattfindet.
  • Ihre Schrift ist meist sehr unleserlich und oft lässt sie auch Spielraum für eine Interpretation, ob dort nun z.B. ein o oder ein a, ein n oder ein u steht.

Wie kommt das nun, dass Legastheniker Schwierigkeiten haben, das Lesen und Schreiben zu erlernen? 

Kinder oder Erwachsene mit einer Legasthenie nehmen die Umwelt im Bereich der Optik, Akustik, Raumorientierung und Körperschema anders, also differenziert, wahr. Sobald sie mit Buchstaben und /oder Zahlen in Kontakt kommen, tritt eine vorübergehende Unaufmerksamkeit auf. Das passiert unwillkürlich, und selbst wenn sie sich zusammenreissen klappt oft keine Aufmerksamkeit gegenüber den Buchstaben. 

Durch diese Unaufmerksamkeit und die differenzierte Wahrnehmung entstehen nun Wahrnehmungsfehler. Diese äussern sich in den vorhin aufgezählten Symptomen und sind äusserst hartnäckig. 

Es ist wichtig, zu sagen, dass es „die Legasthenie“ nicht gibt. Sie ist so individuell, wie jedes Kind individuell ist. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausprägungen und ist in verschiedenen Formen anzutreffen. 

Genau hier muss man nun den Förderansatz anlegen. 

Er soll individuell und auf das Kind zugeschnitten sein. Ein reines Üben an den erwähnten Symptomen reicht nicht aus. 

Denn obwohl jedes Kind lesen nur durch lesen, und schreiben nur durch schreiben erlernt, muss unabdingbar ein Training in der Aufmerksamkeit und den Sinneswahrnehmungen stattfinden. Also dort, wo die Legasthenie entstanden ist. 

Wichtig ist, dass eine Förderung früh einsetzt. Je früher eine Legasthenie diagnostiziert und adäquate Hilfe eingesetzt wird, desto schneller setzen Erfolge ein und Folgeprobleme können verhindert werden. Da die Legasthenie keine Krankheit oder Behinderung ist, kann sie auf der pädagogischen Ebene auch behoben werden, sofern sie früh erkannt wird. 

Dies ist in der Regel bereits in der zweiten Hälfte der ersten Klasse möglich, sobald die Kinder eben mit Buchstaben in Kontakt gekommen sind. 

Heute spricht man über die Bücher, die Agathe Christie oder John Irving geschrieben, oder die Filme, die Walt Disney und Alfred Hitchcock produziert haben. Man spricht über Leonardo Da Vinci als grösstes Genie unserer Zeit, und man kennt Albert Einstein als grössten Physiker aller Zeiten. Thomas Edison hat für uns das „Licht“ erfunden, die Glühbirne, ohne die nun niemand mehr auskommt. 

Sie alle waren Legastheniker. Sie alle hatten Mühe, das Schreiben und Lesen richtig zu erlernen. 

Leader wie Napoleon Bonaparte, J.F.K, sein Bruder Robert Kennedy oder George Bush regierten oder herrschten sogar über ganze Nationen. 

In unserer Zeit leben der Gründer von Microsoft, Bill Gates, oder der jüngst verstorbene Steve Jobs, der Mitbegründer von Apple (iPod, iPhone…), die mit ihren Ideen und harter Arbeit ein Imperium erschaffen und aufgebaut haben. 

Zwei andere Beispiele sind Tommy Hilfiger und Ingvar Kamprad, die mit Mode, bzw. IKEA, Millionen Umsätze jedes Jahr machen. All diese Persönlichkeiten, um nur einige zu nennen, leb(t)en mit der kleinen Besonderheit legasthen zu sein und trotzallem alles erreicht zu haben. 

Oder vielleicht gerade deswegen?! 

Selbst wenn man Legastheniker ist, steht einem jede Tür offen, wie diese Menschen beweisen. Man kann nahezu alles erreichen, was man will, vorausgesetzt, man arbeitet hart, manchmal ein bisschen mehr als alle anderen. Und man muss an sich und sein Potenzial glauben. 

Die Welt wartet auf andere geniale Köpfe und da spielt es keine Rolle mehr, ob man ein wenig länger oder ein wenig anders das Lesen und Schreiben erlernt hat. 


Iris Trimboli
Dipl. Legasthenietrainerin (EÖDL) Training nach der AFS-Methode 
www.verschrieben.ch

Wächst sich die Legasthenie im Alter aus?

Früher glaubte man, dass sich die Legasthenie in der Pubertät auflöst, da in der zehnten Schulstufe kaum noch Schüler mit einer Legasthenie gefunden wurden. Leider entspricht dies nicht der Realität: Die Betroffenen hatten aufgrund der gravierenden Schwierigkeiten die Schule frühestmöglich verlassen. Dass sich die Legasthenie auswächst, ist daher eine Wunschvorstellung.

Ein Legastheniker bleibt ein Legastheniker. 

Die Ursache einer Legasthenie ist genetisch bedingt. Frühförderung ist das beste Mittel, denn es führt zu einer Besserung von Lesen und Schreiben, schützt die Kinder vor negativen Erfahrungen und weiteren Nachteilen im Leben. Aber die Förderung und Behandlung von legasthenen Schülern ist eher Glücksache, denn sie ist noch nicht gesichert und oft willkürlich. Sie hängt vom Engagement und Ausbildungszustand einzelner Personen ab, wie von den Lehrern, Eltern oder Schulpsychologen.1 

Aber auch im Erwachsenenalter kann man durch gezielte Hilfe (z.B. Legasthenie-Training) und Kompensationsmechanismen erfolgreich gegen die Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten agieren, auch wenn der Aufwand grösser ist als bei Kindern. Wie oft im Leben liegt es an der Einstellung, wie mit der “Problematik” umgegangen wird.

Das Training für Erwachsene besteht aus zwei Bereichen: einerseits aus der Verbesserung der Aufmerksamkeit beim Schreiben und Lesen, andererseits aus einem individuellem Symptomtraining. Die Länge eines solchen Trainings kann man nicht voraussagen, weil es immer individuell abhängig ist. 2 

Wächst sich die Legasthenie im Alter aus?

Deine Meinung:


  1. Betz, Dieter und Breuninger, Helga (1998): Teufelskreis Lernstörungen: Theoretische Grundlegung und Standardprogramm, 5. Aufl., Weinheim: BELTZ.
  2.  Pailer-Duller, Livia und Kopp-Duller, Astrid(2012): Legasthenie im Erwachsenenalter. Praktische Hilfe bei Schreib- und Leseproblemen. 3. Aufl., Stuttgart: KLL.

Andrej Ammann – Konzentriere dich auf deine Stärken

Andrej Ammann

Name: Andrej Ammann
Herkunft: Urnäsch AR
Alter: 43
Beruf: Fitnesstrainer/ Unternehmer

Wann und wie wurde deine Legasthenie erkannt?

Dies war in der 3 Klasse.

Hatte die Legasthenie Einfluss bei deiner Berufswahl? Wenn ja, inwiefern?

Mein Traumberuf Polizist und später Lehrer scheiterte an meiner Legasthenie. Nach einer abgebrochenen Kochlehre fand ich eine tolle Lehrstelle als Sportartikelverkäufer. Reden lag und liegt mir, im Gegensatz zum Schreiben.

Hast du in der Bewerbungsphase preisgegeben, dass du Legasthenie hast?

Ja, dies tat ich immer.

Wie hast du die Legasthenie erwähnt und wie sah die Reaktion aus?

Es wäre mir nicht aufgefallen, dass es negativ aufgenommen wurde.
Noch heute erwähne ich es in einem lustigen Spruch, zum Beispiel wenn ich einen Vortrag halte.

Wie macht sich die Legasthenie im jetzigen Beruf bemerkbar?

Nicht negativ, nur wenn ich auf den PC schaue, mein geschriebenes ist doch öfters rot unterstrichen… das ärgert mich schon manchmal.

Wie wirkt sich die Legasthenie im sonstigen Alltag aus?

Ich lese keine Gebrauchsanweisungen. Öfters habe ich dann zum Schluss ein paar Schrauben zu viel, aber es funktioniert. Beim Nachspann von Filmen, wenn das Geschriebene zu schnell ausgeblendet wird, bevor ich es gelesen habe. Also nur ganz kleine Sorgen.

Welche Eigenschaft besitzt du, die aufgrund der Legasthenie besonders ausgeprägt ist?

  • Es wird gesagt, dass ich kommutativ bin
  • Ich nehme viel mit Humor, dass könnte aus meiner Schulzeit kommen, ohne dies wäre es schwierig geworden
  • Mein Ehrgeiz im Sport. Ich suchte die Bestätigung, die mir in der Schule verwehrt geblieben ist, in Wettkämpfen

Welche Tipps würdest du anderen Legasthenikern auf den Weg geben?

Stehe zu deiner Legasthenie, jeder hat schwächen und mache kein Drama daraus. Konzentriere dich auf deine Stärken. Setzte deine Energie ein um von gut nach sehr gut zu kommen, statt von schlecht zu mittelmässig. Kämpfe härter als die andern und versuche immer der Beste zu sein in dem was du tust.

Du hast über dein Leben das Buch „Dudl-Das Buch“ geschrieben. Ist deine Legasthenie darin ein Thema? Wer sollte dein Buch kaufen und lesen?

Das Buch habe ich geschrieben um einen Athleten von mir zu unterstützen, als ich noch Nationaltrainer war. Wir waren es uns leid Bettelbriefe für Sportler zu versenden. Zu unserem Erstaunen wurde es über 1500mal verkauft. Auf knapp 100 Seiten erzähle ich lustige Ausrutscher aus meinem Leben. Legasthenie ist ein Thema darin, aber wie in meinem Leben auch, nicht der Mittelpunkt. Das Buch mit den kurzen Episoden ist für jeden. Ich bekam sogar Rückmeldungen von einem bekannten Fürsten, Regierungsrat, einem Piloten der es im Cockpit dabei hatte und von vielen bekannten Sportlern die es gelesen haben. Ein Legastheniker schrieb mir, dass dies das erste Buch gewesen sei, dass er zu Ende gelesen hat. Das machte mich sehr Stolz. Verschiedene Schulen haben es als Klassensätze bestellt. Es motiviert schwache Schüler, trotz lese schwäche ein erfolgreiches, glückliches Leben zu führen.

JA-GruppeJA-Gruppe; Junge-Aktive im BVL

Da dieser Blog „Legasthenie-Karriere“ hauptsächlich an Legastheniker im Beruf oder Studium gerichtet ist, findest du hier auch die passende Gruppe dazu: Die JA-Gruppe. Sie steht für „Junge Aktive“ und hat eine ganz besondere Bedeutung: Es wird JA gesagt zu den Herausforderungen und die Zukunft wird selbst in die Hand genommen.
Es geht darum, den Weg im Studium/Beruf gemeinsam zu meistern und dass man nicht alleine ist mit der Legasthenie und/oder Dyskalkulie.

Die JA-Gruppe, welche mit dem Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie zusammen arbeitet, besteht aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zwischen 15-35 Jahre alt sind. Im Jahr finden zwei Workshops statt zum Thema, wie man den Umgang mit der Legasthenie/Dyskalkulie verbessern kann.

Nur gemeinsam kann Chancengleichheit, Akzeptanz und Toleranz erreicht werden.

Wenn auch du dich angesprochen fühlst und dein Interesse geweckt ist, findest du hier mehr Informationen.

Legasthenie Kompensation 

Wie kann eine Legasthenie Kompensation im Beruf & Studium statt finden?


Alle Betroffenen, die im Rahmen der Maturaarbeit „Legasthenie in der Berufswelt“ befragt wurden, merken ihre Legasthenie im Beruf und Studium. Probleme sind beispielsweise: Email’s verfassen und/oder lesen, Texte schreiben, Protokoll führen, Übungen korrigieren etc.

Hier findest du einige Kompensationsmöglichkeiten:

Kompensation im Beruf

  • Selber mehrfach Korrekturlesen
  • Kollegen um Hilfe bitten
  • Rechtschreibprogramm am Computer
  • Wenn möglich Telefonkontakt anstatt Emailaustausch

Kompensation im Studium

  • Selber mehrfach Korrekturlesen
  • Andere Studenten um Hilfe bitten
  • Rechtschreibprogramm am Computer
  • Wandtafelbilder & Abbildungen fotografieren
  • Nach Notizen von Mitstudenten fragen
  • Arbeitsgruppen bilden

Hier findest du weitere Möglichkeiten zur Kompensation wie zum Beispiel Apps, Vorlesefunktionen etc.

Hier das Fazit aus meiner Sicht:
Die zukünftige Generation wird es leichter beim Umgang mit der Legasthenie haben, da neue Technologien entwickelt werden und die Kinder mit der Technik aufwachsen. Aber auch wenn sie sich die verschiedenen Kompensationsmöglichkeiten aneignen, ist es trotzdem kaum möglich, die Legasthenie 100% zu kompensieren.

– Sabrina Brockes, 07.06.2017*

Legasthenie Kompensation - Studium & Beruf

Deine Meinung:


*Brockes, Sabrina (2015), Legasthenie in der Berufswelt, Wil: Kantonsschule Wil.

Apps für Legastheniker 

Hier findest du kostenlose Legasthenie Apps, die Legasthenikern beim Lesen & Schreiben helfen können.

Vorlesefunktionen:

  • ClaroSpeak 
  • Eingeben im App-Store „Text to Speech“
  • Eingeben im App-Store „Web Reader“

Hilfreiche Apps mit Informationen:


Apple

Vorlesefunktion
Hier sind zwei Anleitungen für einen Apple-Computer:

Diktierfunktion
Hier findest du eine Anleitung zur Diktierfunktion auf dem iPhone.

kostenlose Legasthenie Apps